Donnerstag, 19. April 2012

Premiere

Die Sonne war untergegangen, und die verschiedensten Vögel liessen ihren Lockruf erschallen. Dann und wann ertönte das seltsame Krächzen und Geschnatter der Hornraben, dessen synkopischer Rhythmus fast musikalisch ist. Die Buschkrähen riefen sich untereinander, und ganz in der Nähe gurrten zwei Turtel- tauben. Aus der Ferne tönte das chromatische Decrescendo eines Buschkuckucks, und das ganze Konzert war begleitet von dem monotonen metallischen «Tink- Tonk» des Kupferschmieds, das klingt, als ob zwei Hämmer auf einen Amboss schlügen. Bald verwischte die fortschreitende Dunkelheit alles Gegenständliche, und wir konnten nur noch die hellen Stämme zweier Bäume vor uns schimmern sehen. Nun herrschte tiefes Schweigen. Auch wir verhielten uns regungslos und lauschten. Brovie hob die Büchse, doch es war schon zu dunkel, um Korn und Visier zu erkennen, und wir überlegten uns gerade, auf welchem Weg wir ins Lager zurückkehren sollten, als auf der andern Seite des Wassers etwas Weisses aus den Büschen ins Freie glitt. "Welches Tier besass eine weisse Brust? Ich suchte die Frage vergebens zu beantworten, als Brovie mir zuflüsterte: «Ein Elefant, sieh seine Stosszähne», und sich vorsichtig erhob. Ich bat: «Geh nicht zu nahe hin, es ist ja stockdunkel». Doch Brovie hatte seinen Entschluss gefasst: «Doch, ganz nahe, das ist die einzige Möglichkeit», und pürschte sich an das Ufer hinunter. Der Elefant, ein dunkler Schatten hinter den gebogenen Stosszähnen, die wie zwei Halbmonde leuchteten, kam lautlos zum Wasser hinunter und begann seinen Durst zu löschen. Dann drehte er plötzlich um, begann die Böschung wieder zu erklimmen und verharrte regungslos. Er, Brovie und ich und die ganze Welt ringsum waren in angestrengtem Lauschen erstarrt. Doch der Elefant kehrte wieder um und begab sich ganz in das Wasser hinein. Die Mondsichel, die hinter den Wolken erschien, zeigte, dass er gerade dahin gewandt stand, wo ich Brovie vermutete. Trotzdem ich auf den Schuss gefasst war und in seiner Erwartung in die Dunkelheit blinzelte, zerriss er die Stille mit erschreckender Heftigkeit. Zwei weitere Schüsse folgten in kurzen Zwischenräumen, das Mündungsfeuer blendete wie zwei Blitze, und dann stürzten Kongoni, Brahimo und ich zu Brovie hinüber. Er stand noch da, wo er gefeuert hatte, keine fünf Meter von der Stelle, wo der Elefant gewesen. Wir lauschten atemlos, hörten den Elefanten den Hang hinauf krachend durch die Büsche flüchten und dann einen dumpfen Ton, wie von einem Fall. Es folgte absolute Stille, bis zu unseren Füssen die Frösche zu quaken begannen, dann leise, und wie in weiter Entfernung ein Brechen von Zweigen. Nun konnten wir nicht länger warten, vorsichtig überquerten wir den Bach und tasteten uns durch die Büsche den Hang hinauf. Ich fühlte etwas Nasses auf meiner Hand, und als ich sie gegen das Mondlicht hielt, sah ich einen dunklen Fleck darauf. Alle Zweige, an die wir streiften, waren klebrig von Blut. Wir warteten, lauschten mit klopfenden Pulsen, dann schlichen wir wieder ein paar Schritte weiter und kamen schliesslich bis zu einem der hellen Baumstämme. Kongoni, der zuvorderst ging, hielt an und streckte seinen Arm aus: dort, im Schatten, leuchtete etwas Weisses. Wir näherten uns vorsichtig und konnten die Stosszähne des Elefanten erkennen und dann seine dunkle, massige Gestalt, gegen einen Baum gelehnt. Brahimo trat leise näher und warf einen Ast danach, aber diese Vorsicht war nicht mehr nötig; der Elefant war schon verendet. Nun war es endlich zur Strecke gebracht, das stolze Wild, das wir wachend und in unseren Träumen alle diese Wochen hindurch gejagt hatten. Ungläubig staunend standen wir vor ihm und zweifelten, ob wir nicht träumten. Doch er war greifbar vor uns, seine wie ein mächtiger Granitblock gewölbte Stirn, die riesigen, friedlich gegen die Schultern zurückgelegten Lauscher, und um seinen rauen, noch warmen Rüssel hing ein Duft, der an Brombeeren erinnerte. So verloren und zusammengeschrumpft lehnte er da, dass ich ihn hätte liebkosen mögen, und auch Brovie war von einer geheimen Reue erfüllt. Brovie besah ihn mit kritischen Augen und schätzte seine Zähne auf kaum 30 Pfund. Immerhin war es ein ausgewachsener Elefant, und wenn wir nur seine Haut retteten, so war dies alles, was wir uns wünschen konnten. Dazu durften wir aber keinen Augenblick verlieren. Unser Rufen wurde vom Lager aus sofort beantwortet, und einige Minuten später kamen alle Träger mit Seilen und Laternen herbei, und wir machten uns an die Arbeit.

Dienstag, 17. April 2012

Eine Welt für sich

in unserer kleinen, eigenen Welt
Unsere Leute hatten am Morgen eine Spur gefunden, und so kehrten wir zurück in den Wald. Der Ort, den wir als Lagerplatz wählten, war zunächst eine mit wildem Gestrüpp überwucherte Lichtung, doch unsere Leute säuberten den Platz mit soviel Geschick, dass sie bis zum Abend einen unserer hübschesten Lagerplätze daraus gemacht hatten. Man trat gebückt durch einen niedrigen, von Büschen überdachten Tunnel; richtete man sich auf, so stand man im Lager, das, eine kleine Welt für sich unter einem hohen Blätterdach, von einem mächtigen silbergrauen Baumstamm beherrscht war. Man konnte ein dutzend Mal auf dem Weg von Meru an der Biegung vorbeigehen, die um die Lichtung führt, und an dem Bach, der dort in einen Teich plätschert, ohne zu ahnen, dass dicht hinter der Blätterwand eine ganze Safari ihr Lager aufgeschlagen hatte. Das grüne Zelt war fast unsichtbar inmitten der Blätter, wir brannten nur kleine Feuer, verhielten uns so still wie Mäuse und blieben beinahe so gut versteckt wie die Elefanten selbst.

Sonntag, 15. April 2012

„Tembo“


Ausruhen im Schatten des Waldes
Gegen Mittag glaubte ich einmal bestimmt, einen Elefanten zu erkennen und holte den Feldstecher (Der Oberst hatte uns sein Glas geliehen), doch war es nur ein Klumpen abgestorbener Schlingpflanzen, der im Geäst eines Baumes hing. Brovie hatte das Glas noch darauf gerichtet, als ich weit draussen in der Ebene zwei dunkle Punkte bemerkte. War es möglich, dass dies Elefanten waren? Doch wenige Augenblicke später erkannte ich durch das Fernglas deutlich zwei der Dickhäuter, die sich dem Waldrand entlang bewegten; ab und zu leuchteten ihre weissen Stosszähne auf. In wenigen Sekunden waren wir unten und ergriffen die Büchse; auf das Zauberwort «Tembo» (Elefant) standen Kongoni, Brahimo und Maithia bereit, und wir rannten den Abhang hinunter. Auf unserm Eilmarsch durch das hohe Gras wurde ein starker Buschbock vor uns flüchtig, und nach zwanzig Minuten abwechselnden Laufens und Gehens krochen wir einen Hügel hinauf, von dessen Höhe wir die Elefanten beobachten konnten. Doch der erste Schluss fehlte, der zweite klemmte und als wir wieder bereit waren, war die Herde bereits verschwunden.

Samstag, 14. April 2012

Die Befreier kommen!

Eingeborenen Familie
Es waren furchtbar anstrengende Tage. Denn, wenn die Sonne sich feurigrot hinter den Morgennebeln erhob, waren wir schon unterwegs auf der Fährte, und wenn wir todmüde ins Lager zurückkehrten, war sie schon untergegangen. Wir erlaubten uns keine Rast während der Mittagshitze, und verdoppelten unsere Anstrengungen nach jeder erfolglosen Stunde. Rings um die beiden Hügel führte die noch frische Spur, und wir hielten sie, stundenlang einem Bachbett folgend. Die Fährte war enorm, sie mass fast 24 Zoll im Durchmesser, und wir waren überzeugt, dass es die Spur unseres Riesen-Elefanten sein musste. Wir stiessen auf seine frische, noch warme Losung, vielleicht kaum eine Stunde alt, und auf gebrochene Zweige, an deren Bruchstelle der Saft noch weiss und feucht war. Auch fanden wir Löcher im Sand, wo er mit seinen Stosszähnen nach Wasser gegraben hatte. Einmal führte die Spur aus dem Bachbett und die Böschung hinauf, und wir hofften schon, er habe sich nun entschlossen, einen Ruheplatz für den Tag zu suchen. Doch nachdem wir sie eine Stunde lang weiter verfolgt hatten, führte sie wiederum in das Bachbett zurück. Zweimal stiessen wir auf frische Spuren, mussten aber beidemal feststellen, dass sie von andern Elefanten herrührten. Das Betrüblichste aber war die Unfähigkeit der Leute, die Spur zu halten. Je undeutlicher sie wurde, desto mehr schwatzten sie untereinander; wir hörten geduldig ihre zahllosen Palaver an, die dann doch nur zu ziellosem Umherwandern führten. Maithia war hier in seiner Heimat, und jedesmal, wenn uns ein Eingeborener begegnete, gab es eine ausgiebige Begrüssung, die sich meist hinauszog, bis der Bekannte weit ausser normaler Hörweite zurückgeblieben war, denn wir konnten nicht ständig anhalten. Dabei erhielten wir einen Beweis für das erstaunliche Gehör der Eingeborenen: Maithia, der an der Spitze marschierte, sprach vor sich hin als rede er mit sich selber, ohne die Stimme zu erheben oder auch nur den Kopf zu wenden, und bald kam die Antwort, für unsere Ohren ein gerade noch hörbarer Laut, für ihn offenbar wohlverständlich. Es war deutlich zu sehen, er war hier eine bekannte und beliebte Persönlichkeit, und nun, da er den Weissen zur Abwehr gegen die Elefanten brachte, wurde er als Befreier begrüsst.

Montag, 9. April 2012

Ein Elefant

In Meru hören wir gleich am Morgen eine interessante Geschichte «Er ist zum mindesten ein 90-Pfünder. Die Eingeborenen behaupten, seine Zähne ziehen Furchen am Boden, weil sie so schwer sind, dass er sie nicht heben kann.» So lautete die Beschreibung eines Elefanten, von dem uns Mr. L. erzählte, als wir bei ihm beim Kaffee sassen. Es mutete uns ganz seltsam an, wieder ein Dach über uns zu haben ; die Bücherregale, die Bilder an den Wänden und die silbernen Bestecke auf dem weissen Tischtuch umgaben uns mit einer behaglichen Atmosphäre der Geborgenheit. Aber wenn es auch schön und gut war, eines Tages zu all diesen Dingen zurückzukehren, so fühlten wir doch eine geheime Freude darüber, dass dies nicht schon jetzt sein musste. Im Augenblick hatten wir nur Sinn für den Bericht über diesen riesigen Elefanten, und unser einziger Gedanke war, zu erfahren, wo und wie wir ihn finden konnten. Er war ein alter Einzelgänger und hatte sich, solange irgendein Eingeborener denken konnte, in einem kleinen Waldkomplex in der Nähe zweier Hügel aufgehalten. Für uns die ideale Gelegenheit, uns mit der Elefantenjagd vertraut zu machen…

Donnerstag, 5. April 2012

Mount Kenya

Es regnete viel, die feuchte Hitze machte das Jagen sehr beschwerlich, und die Häute trockneten schlecht. Wir erlebten gestern Nacht aber zwei Dinge, auf die wir seit Beginn unserer Reise gehofft hatten. Wir hörten einen Löwen brüllen. Es war ein erschütterndes Konzert und hallte so klar über die Ebene, dass, als es erstarb und noch einige knurrende Laute folgten, man fast glaubte, sein Atemholen zu hören. Er mochte wohl gegen 400 Meter von uns entfernt sein, und doch erfüllten die donnernden Laute die Nacht und machten die Luft erzittern, so mächtig war seine königliche Stimme. Und mit den Worten: «Da liegt der Mount Kenya!» weckte mich Brovie heute Morgen, und im Rahmen des Zelteinganges, weit über dem Ozean von goldenem Gras, erhob sich der riesige Berg, dessen schneebedeckter Gipfel im zitternden Licht des anbrechenden Morgens schimmerte. Bisher hatten wir immer nur die Vorberge und die Umrisse seines Fusses gesehen; darüber aber hing wie ein Vorhang eine Wolkendecke, die sich niemals gelüftet hatte. Schon unzählige Male hatten wir versucht, uns vorzustellen, was sie wohl verberge, hatten uns schwarze Abgründe und schimmernde Gletscher ausgemalt und uns gefragt, wie hoch über diese Wolken der Gipfel wohl reiche, und wie wohl Schneeberge unter dem Äquator sich ausnehmen würden. Doch nie konnte sich unsere Einbildungskraft mit dem unvergleichlichen Anblick messen, die der Kenya in Wirklichkeit bot. In den tauklaren, kristallenen Morgen ragten seine beiden Gipfel, über einem zarten Wolkengürtel, mit frischem Schnee bedeckt. Den ganzen Tag über marschierten wir in Sicht des Berges, hatten eine lange Pürsche auf Wasserböcke und schlugen bei Einbruch der Nacht unser Lager am Ufer eines Flüsschens auf, unser letztes Lager auf unserm Streifzug nach dem obern Tana. Am folgenden Morgen packten wir alle Häute zusammen, nachdem wir sie mit Naphthalin bestreut hatten, und nähten sie in grüne Willesden-Säcke, die, aus stärkstem Hanf gewoben und mit Arseniklösung getränkt, sogar das gefährlichste aller Ungeziefer, den Speckkäfer, fernhalten. Wenn alles beieinanderlag, die Büffelhaut, drei Löwen, der Leopard, ein Zebra, die Kuhantilope und das Impala, Schädel und Knochen mit Draht in Gras verpackt, so war es eine recht ansehnliche Sammlung für den Anfang. Doch war auch ihre Unvollständigkeit allzu offenbar: noch fehlten weibliche Stücke von Kuhantilope, Impala und Büffel —das Museum aber musste Paare haben. Dem konnte später abgeholfen werden, denn diesen Tierarten würden wir immer wieder begegnen. Dagegen war das fehlende Kenya-Oribi eine Lücke in unserer Sammlung, die wir nicht mehr ausfüllen konnten.

Sonntag, 1. April 2012

Unliebsame Entdeckungen

Nach dem Abendbrot griffen wir gestern wieder zur Büchse und gingen hinunter zum nächtlichen Ansitz am Bach, in der Hoffnung, dass der Löwe, dessen Spuren wir in der Nähe des Eselpferches bemerkt hatten, seinen Besuch wiederhole. Ein Ochsenfrosch quakte, Leuchtkäfer schwirrten über das Wasser, sonst herrschte grosse Stille und tiefe Dunkelheit. Dann machten wir die unliebsame Entdeckung, dass wir unsere Laternen nicht zum Brennen bringen konnten, was uns veranlasste, schleunigst die Böschung hinaufzuklettern, um in ziemlicher Eile zum Lager zurückzukehren, während wir hinter jedem Busch einen Löwen vermuteten. Die drückende Stille wurde durch ein Gewitter unterbrochen, und mitten in der Nacht stürzte unter Krachen und Knacken das Zelt über unsern Köpfen zusammen. Der Regen strömte hernieder. Obgleich wir das Zelt nicht wieder aufzurichten vermochten, konnten wir doch darunter schlafen. Wir hatten vergessen, die Zeltleinen zu lockern, und der Regen hatte sie so stark gespannt, dass sie den Zeltpfosten gekrümmt und schliesslich gebrochen hatten. Die Bruchstelle war so schräg, dass der Pfosten am Morgen bald provisorisch repariert war. Für heute war ein Marsch vorgesehen, aber zu der Verspätung, welche die Gewitterschäden verursacht hatten, kam noch Brovies Entdeckung, dass die Zebradecke begonnen hatte in Fäulnis überzugehen. Mvanguno, der für die Häute verantwortlich war, behauptete zwar, sie seien alle fertig zum Verpacken, doch da nun das Zebra verdorben war, sah Brovie auch die übrigen Häute nach und stellte fest, dass auch das Warzenschwein ruiniert war. Die Warzen waren nicht aufgeschlitzt worden, wie es sich gehörte, und wir mussten das Fell fortwerfen. Das war ein harter Schlag. Es war nicht nur schade um die vergebliche Mühe und die schönen Felle, es zeigte uns auch, dass Mvanguno keineswegs so zuverlässig war, wie es geschienen hatte. Man kann keinem Eingeborenen, und sei er noch so geschickt, einen verantwortlichen Posten anvertrauen. Es war ein Jammer, dass ich von der Arbeit nichts verstand und nicht selbst die Anzeichen der beginnenden Fäulnis zu erkennen vermocht hatte. Ich kann es wohl noch lernen, doch wenn Mvanguno mit all seiner Erfahrung sich als unbrauchbar erwies, wie viel weniger kann ich da helfen. Aber den ganzen Tag jagen, nachts auf dem Ansitz sein und daneben noch die Trophäen zu überwachen ist mehr, als ein einzelner leisten kann. Dennoch wurmt es mich, dass mein Anteil an der Expedition so bescheiden ist. Ich bin Verpflegungsoffizier und ausserdem noch —schlecht und recht, so gut es eben geht—Schiffsarzt und Photograph. Nicht einmal schiessen kann ich, und so unentbehrlich bin ich nicht, als dass ich nicht gerade so gut hätte daheimbleiben können.